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Theologie vs. Wissenschaft: Im Gespräch mit Harald Lesch

Unser Autor Hannes Bräutigam ist Theologe. Er beschäftigt sich mit der christlichen Religion. Harald Lesch ist einer der bekanntesten deutschen Wissenschaftler. Seit Jahrhunderten streiten Theologen und Naturwissenschaftler, wessen Ansichten die Welt prägen. Wir forderten zum Duell: Religion vs. Wissenschaft. Hannes Bräutigam vs. Harald Lesch. Doch das Gespräch entwickelte sich ein wenig anders.

Symbole für Religion und Wissenschaft: Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ aus der Sixtinischen Kapelle im Vatikan und die Zwerggalaxie NGC 449. Foto: rechts: Musei Vaticani/dpa: Bild links: R. J. GaBany (BBO)/D. Martínez-Delgado (MPIA), Montage: Freistunde

Hannes Bräutigam: Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Nobelpreisträger der Physik feiern Erfolge. Der Streit zwischen Theologen und Naturwissenschaftlern scheint zu enden, die Naturwissenschaften haben gewonnen. Wie sehen Sie das?

Harald Lesch: Früher war ja die Definition von Theologie nicht, die Welt zu erklären, sondern das Verhältnis von Mensch und Gott zu beschreiben. Die Theologie hat Bilder angeboten, die Welt zu erklären. Das hat sich irgendwann verselbstständigt und die Theologie gab selbst Erklärungen über die Welt ab.

Hannes Bräutigam: Theologen haben sich also das falsche Fußballfeld ausgesucht?

Harald Lesch: Der Mensch steht einer Welt gegenüber, für die er überqualifiziert ist, weil das Gehirn mehr kann, als was es unmittelbar muss. Auf der anderen Seite ist der Mensch damit konfrontiert, dass seine Zeit abläuft. Wie fülle ich diese Zeit aus? Wie gehe ich mit dem Unverfügbaren um, meinem Leben, meiner Zeit? Das ist das Thema der Theologie. Aus mehreren Gründen hat sie sich mit dem Verfügbaren auseinandergesetzt. Da geht sie in einen Wettbewerb mit den Wissenschaften, den sie nicht gewinnen kann.

Hannes Bräutigam: Wie könnte ein Treffen zwischen Naturwissenschaften und Theologen denn aussehen?

Harald Lesch: Wir haben uns angewöhnt, den Rand der erkennbaren Wirklichkeit in den Alltag zu integrieren – Quantenphysik und Satellitennavigation beispielsweise – ohne eine Ahnung zu haben, was wir überhaupt damit anrichten. Fehlende philosophische Betreuung führt dazu, technischen Wissenschaftlern zurufen zu wollen: Sie wissen nicht, was sie tun! Ethische Fragen sind bei vielen Naturwissenschaftlern nicht vorhanden. Sie machen einfach immer weiter und weiter. Die fragen nicht nach den Grenzen ihrer eigenen Handlung. Es gibt wenige Naturwissenschaftler, die sich an ethischen Debatten beteiligen. Weiß ich denn noch, was ich anrichte mit dem, was ich tue? Diese Grenzen müssen ja von jemand gesetzt werden.

Hannes Bräutigam: Ursprünglich sollte das Interview ein Streit werden. Wenn Sie mit Ihren Kollegen so hart ins Gericht gehen, nehmen Sie mir ja den Wind aus den Segeln. Würden Sie Theologen auch etwas dringend empfehlen?

Harald Lesch: Wissenschaften liefern Optionen. Die Frage, wie diese Optionen in Handlungen umgesetzt werden sollen, ist eine andere Frage. Theologie als Wissenschaft von religiösen Erfahrungen muss mit am Tisch sitzen. Es wäre großartig, wenn in Deutschland alle, die sich mit der Frage „Was soll ich tun?“ beschäftigen, ihre Stimme erheben und diesen öffentlichen Raum nicht Leuten überlassen, die sagen, wir holen uns wieder unser Land zurück. Theologen sollten sich da noch stärker zu Wort melden.

Hannes Bräutigam: Mit welchen Fragen sollen sich Theologen beschäftigen?

Harald Lesch: Die Herausforderung liegt nicht in dem Versagen der Technik, sondern in den Erfolgen der Technik. Der Triumph der Wissenschaften ist ja offensichtlich, wie grenzen wir das ein? Wissenschaft zur neuen Religion erheben? Sich ganz der wissenschaftlichen Innovation hingeben, mit technischen Schnittstellen im Körper einen neuen Menschen machen? Was für eine Art von Mensch kommt dabei heraus? Was wollen wir für ein Menschenbild?
Wo ist Kirche eigentlich freitags um 11 Uhr? Mehr ethische Reinheit als die Forderung „Macht uns unsere Zukunft nicht kaputt“ werden wir auf diesem Planeten nicht finden. Es gibt keine konfessionelle Gruppe bei „Fridays for Future“, die sagt: Wir wollen, dass die Schöpfung nicht kaputt geht. Das wäre einmal ein Anfang.

Originalbeitrag erschien auf idowa.de und in der Freistunde des Straubinger Tagblatts.