Médoc Marathon in Schlangenlinien
Warum Läufer beim Médoc Marathon unfreiwillig länger laufen, als sie müssen. Der Médoc Marathon stellt Läufer vor Herausforderungen. Wein und Laufen.
“Frühstück gibts bei Kilometer 2”, informiert ein Mitarbeiter im Startbereich des Médoc Marathons. Etwas scheint bei dieser offiziellen Marathon-Veranstaltung, die sich selbst in die berühmten Läufe von New York, London und Paris einreiht, anders zu sein. Jedes Jahr im Herbst quälen sich 8.500 Läufer über 42,195 Kilometer durch die Gassen und Weinberge von Paulliac, einer französischen Stadt auf der Médoc-Halbinsel bei Bordeaux. Der Médoc Marathon ist der längste Marathon der Welt — aus einem bestimmten Grund: Es liegt am edlen Bordeaux. Am 8. September ist es wieder soweit.
Einem Marathonlauf gehen in der Regel eine Trainings-Vorbereitung über viele Monate voraus und ein ausgeklügelter Ernährungsplan, will man die Strecke in einer passablen Zeit ohne gesundheitliche Schäden überwinden. Ein bisschen trainiert hat man ja bereits. Die Franzosen verstehen unter einem Marathon am Rande der Biskaya etwas anderes. Wenn es ein Läufer schafft, in sechseinhalb Stunden die Marathon-Strecke mitten durch 50 der schönsten Bordeaux-Weingüter zu absolvieren, bekommt eine Flasche Rotwein. Neben Wasser ist dies auch das bevorzugte Getränk, das an den über 20 Verpflegungsständen entlang der Strecke ausgeschenkt wird.
Zebras, Piraten und Rotwein beim Médoc Marathon
Bereits bei Ankunft auf dem Parkplatz in Paulliac wird klar, dass etwas anders ist. Vor einem älteren Wohnwagen schrauben sechs Männer in langen Wikinger-Bärten an einer hölzernen Galeere herum. Ein Adlerkopf auf einem langen Stock am Bug des Bootes erinnert an die Piraten aus den Asterixheften. Am Boden liegen sechs Helme. Etwas unterscheidet die Männer jedoch von Wikingern. Sie haben Startnummern. An sechs Rudern wollen sie anscheinend die 42 Kilometer in eine Ruderregatta verwandeln. Und damit waren sie nicht die einzigen.
Auf der Pasta-Party am Abend vor dem Lauftag präsentieren sich die einzelnen Laufgruppen bereits in ihren Kostümen: viele Perücken, Trachten, ein Zebra, überlebensgroße Weinflaschen, ganze Fuhrwerke. Pasta gehört zu den Gerichten, die Franzosen zumindest in Paulliac einfach nicht können. Ganz anders verhält es sich bei den Getränken. Es gibt den Rotwein, der die gesamte Veranstaltung begleitet. Das Flaschenetikett ziert ein Läufer, der anscheinend als das Idealbild eines Marathonläufers in Médoc gilt: Laufdress, vorbildlich mit Startnummer und durchtrainierten Oberschenkel, dazu eine rote Nase, kleine Augen, eine Hand, die jubilierend in Richtung Himmel zeigt, in der anderen eine Rotweinflasche. Hinter ihm deutet eine Schlangenlinie an, dass er auf der Marathondistanz nicht den direkten Weg ins Ziel nehmen wird. So wird aus den ursprünglichen 42,195 Kilometern der “längste Marathon der Welt”.
Warum der Präsident des Médoc Marathons den Start nicht mehr kennt
Das prägt die Atmosphäre des Médoc-Marathons: Der Präsident des Marathons Vincent Fabre legt Wert auf Spaß, Geselligkeit und gute Verkleidung. Vielleicht liegt es auch am Rotwein, dass selbst der Präsident sich nicht mehr so genau daran erinnern kann, wann der erste Marathon in Médoc stattgefunden hat. Starten wollten sie schon 1984, stattgefunden hat er dann doch erst 1985. Warum, weiß auch keiner mehr so genau. Es hatte wohl etwas mit Gesundheitsvorschriften und Sicherheit zu tun.
Im Start mischen sich die Wikinger unter die restlichen verkleideten Läufer. Eine kleine Gruppe reiht sich um einen recht stabilen Läufer, der einen meterhohen massiven Eiffelturm schultert. Das Startgeld reicht von 87 Euro bis 177 Euro inklusive Pasta Diner für 1.500 ausgewählte Personen, einem Ausflug in Médoc und einem Kinobesuch.
Verpflegung beim Médoc Marathon nur mit ärztlichem Attest
Nach zwei Kilometern kommt wie versprochen der erste Verpflegungsstand: Bananen, Orangen, Kekse. Und Käse. Das gehört zu den noch folgenden 21 Ständen zum Standard. Es gibt keine hektischen Helfer, die den hechelnden Sportlern in vollem Lauf Wasserbecher in die Hand drücken. Die Läufer bleiben stehen, unterhalten sich und halten ein Glas Bordeaux aus einem Weingut beispielsweise des Château Lafite-Rothschild, Latour oder Mouton-Rothschild in der Hand. Neben Rotwein wird auch Weißwein zu Austern und Steaks in kleinen Streifen serviert. Irgendwann ist auch die Stopfleberpastete bei Kilometer 41 verträglich. Das macht verständlich, warum ein ärztliches Attest bei Anmeldung eingefordert wird. Bei einem Stand steht ein schwarzglänzendes Piano. 15 Läufer halten es für eine gute Idee, einen Lang-Flügel über 42 Kilometer über die lehmgetränkten Schotterwege der Weingüter tragen. Da haben auch die 50.000 Zuschauer ihren Spaß.
Neben einer Medaille erhält jeder Läufer natürlich: eine Flasche Bordeaux. Das Gewicht des Gewinners, der nach knapp zweieinhalb Stunden das Ziel durchläuft, wird komplett in Wein aufgewogen. Der Läufer ist mit allen Sinnen gesättigt. Atemberaubende Panoramen, hervorragender Wein, gutes Essen und Endorphin-getränkte Stimmung. Eine Reise lohnt sich, und sei es auch nur zum Frühstück bei Kilometer zwei.