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Pfingstritt in Kötzting: Wo Reiter beten und Hengste flirten

Die alljährliche Bittprozession hoch zu Pferde in Bad Kötzting ist ein Ausnahmezustand – für Ross und Reiter. Eine kurze Schilderung aus eigener Perspektive.

An Pfingsten findet in Bad Kötzting Nähe Cham in der Oberpfalz jährlich eine der größten Reiterprozessionen Europas statt. Es ist der Landkreis, in dem Pfingsten schon vor Ostern beginnt, wie der BR festgestellt hat. Und das seit mittlerweile über 600 Jahren. Letztes Jahr waren es 803 Reiter. Zumindest am Anfang bedeutet das auch 803 Pferde in einer Kleinstadt von gut 60 km2, das macht umgerechnet pro 10 Einwohner inklusive Reiter ein Pferd. Die Kanalisation mag dafür gerüstet sein, was die gut 8.000 Einwohner von sich geben, nicht aber für das der 800 Pferde. Aber dieser profanen Rechnung steht ein ganz anderes, heres Ziel gegenüber.

Ursprung und Wesen des Pfingstritts in Bad Kötzting

Diese Bittprozession hoch zu Pferde bildet eine christliche Tradition, die auf ein Gelübde von anno 1412 nC. zurückgeht. Im etwa 7 km entfernten Steinbühl lag ein Mann im Sterben und bat um die Sterbesakramente. Damals waren die Wege noch nicht geteert, mit Ampeln und Kreisverkehr geregelt und von Leitplanken gesäumt. Neben einem schlimmen Unwetter gefährdeten auch Bären und Wegelagerer (gut, manch einer denkt an moderne, ebenfalls grüne Wegelagerer, die einem nach einem Foto auch das Geld aus der Tasche ziehen) den Ritt des Pfarrers von Kötzting nach Steinbühl, weswegen er von den Burschen aus Kötzting Geleitschutz bekam. Nach unversehrter Rückkehr gelobten diese, als Dank den Ritt jedes Jahr zu wiederholen.

So ist der Ritt heute noch ein Zeugnis des christlichen Glaubens, der Heimatliebe und eine Tradition, die weite Kreise um Bad Kötzting herum über viele Wochen prägt. Aus Sicht eines Pfingstreiters wird darauf wert gelegt, dass der Ritt als Wallfahrt erkennbar ist und nicht als Touristenattraktion wahrgenommen wird. Das Winken und Grüßen vom Pferd herab ist genauso verpönt wie auch Essen, Trinken, Rauchen, neuerdings auch Telefonieren oder sonstiges Wischen auf dem Smartphone. Es wird gebetet auf dem Pferd. Der Rosenkranz hat dabei eigene Gesetze und ist geprägt von einem Sprechrhythmus, der wohl einzigartig ist und nur von Pfingstreitern gepflegt wird. Nur so viel zum Ideal und zum Wesen des Ritts. Die praktische Umsetzung rückt den Ritt wieder eher in das Licht der profanen Rechnung eingangs und damit, was die Pferde so von sich geben. Denn Pferde haben oft etwas anderes im Kopf als Beten, Bitten und Danken. Eine kurze Schilderung aus eigener Perspektive.

Eine eigene Erfahrung für Pfingstreiter und Ross

Nach 35 Jahren Urlaub auf dem Bauernhof stieg ich 2012 zum 600-jährigen Jubiläum des Pfingstritts als Wald- und Wiesen-Reiter ein in die Tradition eines Pfingsreiters. Aus Platzmangel in meiner Wohnung folgt natürlich ein Mangel an einem Pferd, weswegen ich mir gegen Bezahlung eines von einem anderen Bauernhof ausleihen muss. Auch hier wird darauf wert gelegt, dass der Reiter spätestens um Ostern herum vorstellig wird und sich mit dem Ross vertraut macht. In meinem Falle ist das ein rabenschwarzer Wallach mit glänzendem Fell und vielleicht 1.80m Stockmaß. Also Schulterblatt. Da schauen meine 1.90m aus wie 1.60m. Von Augenhöhe ist hier keine Spur – außer der Wallach Fritz lässt sich gnädigerweise zu mir herab. Aber es funktioniert, also die Teambildung: Links, rechts, vor, zurück, alles in Pferdesprache, das haut hin einigermaßen. Geübte Reiter schaffen das auch mit Schenkeldruck, aber Fritz würde meine Bemühungen wohl höchstens als leichten Seitenwind interpretieren. Der Ausritt klappt also – wären beim Ernstfall an Pfingsten nicht noch 802 weitere Rösser. Wie Menschen ebenfalls verstehen sich nicht alle untereinander. Neben mir reitete ein Hengst, der wohl noch nie so viele Frauen, also Stuten, auf einem Haufen gesehen hat. Da muss man (pferd) sich natürlich präsentieren, was für einige Unruhe sorgte und auch dem weitaus geübteren Reiter als mich einiges abverlangte und für Kollateralschäden sorgte. Denn gereitet wird in Tracht und Schmuck, der unter den Strapazen des Ritts leiden kann.

Weg und Ziel des Pfingstritts

Die sogenannten Röserl aus Krepppapier zieren den Schweif, die Ohren und teils die Mähne des Pferdes. Die “Ohren” sind ein Stoffüberzug für Ohren und Stirn des Rosses, an dem eigens für den Ritt angefertigte Röserl in den Farben der Stadt Kötzting grün und weiß befestigt werden, in Kreuzform oder in verschiedenen Mustern. Sie zieren auch die Merkmale eines richtigen Pfingstreiters, den Lerchenzweig am Hut und den Wacholderzweig, den „Krowied“, im Stiefel. Die fliegen natürlich, wenn der Hengst die Witterung aufgenommen hat. Würden alle Röserl fliegen, würden circa 20.000 Röserl den Weg nach Steinbühl zieren. Gebetet wird dann nicht nur dafür, dass uns der Herrgott vor Blitz, Hagel und jedem Unheil bewahren möge oder uns die Früchte des Feldes schenken und bewahren wolle, sondern auch, dass der Reiter nicht gleich mitfliegt. Kommt noch dazu, dass an jedem der vier Evangelien, die auf dem Weg nach Steinbühl gelesen werden, der Hut abgenommen wird und natürlich mit einer Hand festgehalten werden muss. Das bedeutet, man hat für die Zügel nur noch eine Hand frei. Im Falle meines Reiterkollegen war es die einhändige Zähmung eines Hengstes unter hunderten von Stuten, der dabei auch schon mal gestiegen ist, also den aufrechten Gang auf zwei Beinen geübt hat.

Ziel des Ritts ist neben der Erneuerung des Gelöbnisses, dem Gebet um gute Ernte und Verschonung von Gewalten, die der Mensch nicht im Griff hat, vor allem die Pfingstreitermesse in der Wallfahrtskapelle St. Nikolaus im erhöhten Zentrum von Steinbühl. Fast schon uniformiert prägen die Pfingstreiter mit ihren blauen Mänteln, die eigens für den Pfingstritt geliehen oder genäht werden, die ersten Bankreihen und schmettern in tiefster Inbrunst die von Bläsern getragene Schubertmesse. Aus Sicht der katholischen Kirche ist hier noch die Welt in Ordnung. Hier kommen dankenswerterweise auch Frauen zum Einsatz, die sich außerhalb der Kirche um Stärkung der Reiter und um die Pferde kümmern. Der Ritt an sich ist den Männern vorbehalten.

Rückkehr und Ausblick

Nach der Kirche und einer kurzen Pause treten die Reiter, etwas in der Anzahl reduziert, den Rückritt an. Nun kommen auch die herausgeputzten Gärten und der Ausblick über Kötzting und andere kleine Ortschaften zum Tragen, was beim Ausritt durch die vielen Zuschauer, die es sich entlang der Strecke auch mit Biertischen und Verpflegung gemütlich gemacht haben und mit ihren Teleobjektiven auf die Reiter zielen, teils verdeckt war. Auch hier prägt das Klappern der Hufe und der ungewöhnliche Sprachrhythmus des Rosenkranzes die Geräuschkulisse.

Und wieder ist die Kötztinger Innenstadt geprägt von den blau bemantelten Reitern. Ein Teil davon wird jedes Jahr für die wiederholte Rittteilnahme geehrt, ab 25 Teilnehmerjahren darf man vorreiten und sich bei der Stadt Bad Kötzting „für die Ehre und Auszeichnung“ bedanken. Die Jubilarfahne darf auf dem Pferd nun jedes Jahr mitgetragen werden. Ist man hier in Kötzting angekommen, hat das Ross neben einer ungewohnten Stutenerfahrung nun den Reiter über 4-6 Stunden auf dem Rücken gehabt, je nach Art der Anreise. Und der Reiter ist ebenfalls dementsprechend geprägt.

Es wird sehr viel auf Ehre, Würde, Tradition und einem dementsprechenden Verhaltenscodex gelegt. Immerhin wird das Allerheiligste in Form einer tragbaren Monstranz vorne weg präsentiert. Daneben zählt vor allem, dass den Reitern, Rössern und auch den tausenden Zuschauern nichts Ernstes passiert ist. So war es auch diesmal, also wenn man den eigenen breiten Gang außer acht lässt, als hätte man immer noch den Sattel zwischen den Beinen. Es gibt Erholung bis zum nächsten Pfingsten, also bis vor Ostern.

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